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Von Schönheit und Würde

„Schade, ich habe auch schon mal besser ausgesehen“, schießt es durch ,meinen Kopf, als ich mir selbst in meinem Zoom-Bild entgegenblicke: die Augen so klein und dunkel umrandet, die Haare hängen an meinem Kopf runter, Falten zeigen, wo früher mal Sorgen oder im besten Fall ein Lächeln war. 

Was ist Schönheit? Liegt sie allein im Auge des Betrachters? 

Warum will ich schön sein? Was für eine Sehnsucht liegt dahinter verborgen? 

Ist es Anerkennung? Die Hoffnung auf ein leichtes Leben mit vielen Vorteilen? 

Heute, noch bevor ich aus dem Bett gekrabbelt war, fragte ich meinen Mann eine typische Frauenfrage: "Warum liebst Du mich eigentlich?" Seine Antwort kam prompt: „Hast Du kürzlich mal in den Spiegel geschaut? - Du bist schön!“ 

Er hat gepunktet und das am frühen Morgen, wenn ich mich noch so gar nicht salonfähig fühle. 

Es ging runter wie Öl. Er findet mich schön, Gott sei Dank, selbst wenn ich mir selbst gerade verknautscht vorkomme. 

Seine Aussage steht gegen meine Selbstwahrnehmung. 

Und Gott? Was denkt Er wohl? 

Sein Daumen geht hoch und ein Lächeln huscht über sein Gesicht. 

ER hat immer noch Freude an seiner Schöpfung mit dem Prädikat sehr gut. 

Ich selbst muss mich also nicht jeden Morgen auf die Prüfwaage stellen und checken, wie ich mich heute fühlen darf. 

Stattdessen darf ich den liebevollen Blick Gottes einfach auf mir ruhen lassen und seine heilsamen Worte in mich sinken lassen „wunderbar geschaffen“, einzigartig, mit einem erstaunlichen Körper, der ohne mein Zutun sämtliche Vorgänge managt wie Atmung, Herzschlag, Kreislauf, Stoffwechsel, Hormonausschüttung, Reflexe, Verdauung (ok, da muss ich vorher Essen hinzufügen). 

Ich staune über Wunden, die verheilen und darüber, wie nur eine einzige kleine Narbe an eine ganze überwundene Krankheit wie Windpocken erinnert oder über eine voll funktionsfähige Schulter, die jahrelang geschmerzt hatte. All die Regeneration, die stattfindet, lässt mich jubeln. Oder denken wir an die Anpassung z.B. unserer Haut, die Hornhaut bildet an den Füssen oder an den Fingerkuppen beim Gitarre spielen. Wie genial ist das denn bitte? 

Gerne erinnere ich mich an das Wunder, ein Baby zu empfangen, in mir wachsen zu spüren und zu gebären. Und wie der Körper sich danach erholt… (ok, bis auf ein paar Schwangerschaftsstreifen). 

Natürlicherweise tauchen Altersescheinungen auf: Falten zeigen sich, Bauchröllchen für schlechte Zeiten umarmen uns ungefragt und das Bindegewebe entspannt sich zu sehr. 

Die ewige Jugend verweigert sich uns und ein paar Schmerzpunkte mehr tauchen auf. 

„Ich habe mich Jahre lang über Schönheit definiert,“ so eine 90jährige Psychotherapeutin, „mit zunehmendem Alter habe ich es einfach vermieden, in den Spiegel zu schauen. Nachdem ich mich dann eines Tages in einem körpergroßen Spiegel sah, fragte ich mich, was jetzt mein Wort sei, das mich definiert. Es kam mir das Wort: *Würde*.“ 

Zugegebenermaßen entsprechen wir nicht alle dem gängigen Schönheitsideal in gleichem Masse. Wir tragen in uns Wunderschönes, sowie körperliche Mängel. Deswegen gefällt mir dieses Wort von der *Würde* so sehr.  

In meiner inklusiven Tanztheatergruppe habe ich eine beeinträchtigte junge Frau mit zwei verkürzten Armen und einem verkürzten Bein. Aber sie hat eine Haltung, eine Mimik und eine Ausstrahlung beim Tanz, die die meisten „Normalos“ blass erscheinen lassen. Sie trägt Würde, sie strahlt Würde aus und das ist wunderschön! 

Gott schenkt uns eine Würde, indem er auf diese Welt gekommen ist und sich selbst entwürdigt hat, als kleines hilfloses Baby bis zum grausamen Tod der kompletten Entwürdigung, vor aller Augen am Kreuz zu sterben. Sein Angesicht war total entstellt, beschämt mit Dornenkrone, gefoltert, angespuckt, verhöhnt und verraten. Unfassbar. Hochtraumatisiert. 

An diesem Ort am Kreuz, am tiefsten Ort der Entmenschlichung, gibt ER uns unsere Würde zurück.  

Und irgendwie gehen Würde und Schönheit Hand in Hand. 

 

Love Andrea

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